Denken im Dritten Drittel: Von der Kunst, ratlos zu bleiben

Einleitung: Warum ich schwieg

Monatelang habe ich nichts geschrieben. Nicht, weil mir die Worte fehlen, sondern weil ich fürchte, in einer polarisierten Welt als „falsch“ abgestempelt zu werden. Als Kind der DDR, als Unternehmer, Pleitier und Manager habe ich Wandel und Unsicherheit erlebt. Doch die heutige Welt – mit Kriegen, Krisen und gesellschaftlicher Zerrissenheit – übertrifft alles. Wie bleibt man nachdenklich, ohne im Lärm der Meinungen unterzugehen? Dies ist ein Plädoyer für die Kunst der Ratlosigkeit.

Eine Welt aus den Fugen

Krieg in der Ukraine, Konflikte im Nahen Osten, Krisen in Afrika – die Nachrichten spucken täglich neue Herausforderungen aus. Doch während die Medien sich auf bestimmte Konflikte fokussieren, bleiben andere, wie im Sudan oder Kongo, oft unbeachtet. Es scheint, als zählten Menschen erst, wenn sie an Europas Grenzen stehen. Diese Selektivität verunsichert: Was ist wichtig? Was wird verschwiegen?

Auch hierzulande spüren wir die Spaltung. Misstrauen wächst – sei es gegenüber „Eliten“, Medien oder dem Gegenüber. Diskussionen über Geschlechterrollen, Klimaschutz oder Politik sind oft widersprüchlich und emotional aufgeladen. Es fühlt sich an, als ob einfache Antworten die komplexe Realität nicht mehr greifen.

Meine Reise: Von der DDR zur Ratlosigkeit

Ich bin in einem Land aufgewachsen, das es nicht mehr gibt. Dort war ich Schüler, Soldat, Student und Ingenieur. Im wiedervereinigten Deutschland wurde ich Unternehmer und in der Schweiz Manager – und habe Pleiten ebenso erlebt wie Neuanfänge. Diese Achterbahnfahrt hat mich gelehrt, dass Wandel und Unsicherheit zum Leben gehören. Doch heute frage ich mich: Wie viel Welt kann man aushalten, ohne innerlich zu kollabieren? Und wie viel muss man ertragen, um Verantwortung zu übernehmen?

Manchmal schalte ich bewusst ab, um meinen inneren Kompass zu finden. Dann tauche ich wieder ein – lese, diskutiere, zweifle. Doch je mehr ich erfahre, desto klarer wird: Die Wahrheit liegt oft zwischen Schwarz und Weiß.

Das Problem mit einfachen Narrativen

Nehmen wir den Ukrainekrieg. Die russische Invasion ist nicht zu rechtfertigen – Krieg ist keine Lösung. Doch die Erzählung eines „unprovozierten Angriffskriegs“ ignoriert die komplexe Vorgeschichte. Stimmen wie die des Politikwissenschaftlers Jeffrey Sachs zeigen, dass die Realität vielschichtiger ist. Solche Differenzierungen finden in den Medien selten Platz. Wer sie einfordert, riskiert, als „Versteher“ abgestempelt zu werden. Doch gerade im Unbequemen beginnt das Verstehen.

Die Kunst der Ratlosigkeit

Nachdenken braucht Zeit. Es führt oft in die Einsamkeit, weil man sich von einfachen Wahrheiten entfernt. Doch diese Einsamkeit ist ehrlich. Ratlosigkeit ist kein Makel, sondern eine Haltung, die es erlaubt, andere Perspektiven wirklich zu hören – auch die, mit denen man nicht übereinstimmt.

Wie also weiter? Ich glaube, es braucht beides: Phasen der Abstinenz, um den Kopf freizubekommen, und Momente der Auseinandersetzung, um die Welt zu verstehen. Praktisch hilft mir:
  • Selektive Informationsquellen: Ich suche nach Stimmen, die analysieren statt urteilen, z. B. unabhängige Podcasts oder Bücher.
  • Gespräche mit anderen: Diskussionen mit Freunden oder in Foren klären den Blick, auch wenn sie unbequem sind.
  • Toleranz üben: Statt zu verurteilen, versuche ich, die Motive anderer zu verstehen.

Ein Aufruf: Bleibt neugierig, bleibt ratlos

Ratlosigkeit ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Offenheit. Sie schafft Raum für Toleranz – eine Lebenshaltung, die uns vor ideologischer Verhärtung schützt. Lasst die Wirren der Welt nicht unseren Blick auf die Zukunft verstellen.

Wie gehst Du mit der Flut an Nachrichten und Meinungen um? Teile Deine Gedanken – ich bin gespannt!