Vom Zauber des Anfangs
Wann hast du das letzte Mal einen echten Neubeginn gewagt?
Für mich war es nach einer existenziellen Krise: eine lebensbedrohliche Krankheit, die mein Leben in wenigen Tagen auf den Kopf stellte. In dieser Zeit fand ich Trost und Inspiration in Hermann Hesses Gedicht „Stufen“, das mit den Worten beginnt:Wie jede Blüte welkt und jede Jugend dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe …
Dieses Gedicht ist für mich wie ein alter Freund. Es begleitet mich, weil ich oft in Situationen war, in denen ein Neuanfang nötig war. Doch ich stelle immer wieder fest, dass nicht alle diesen „Zauber des Anfangs“ kennen. Viele haben vor allem eines: Angst.
Ein Neuanfang in einer Extremsituation
Hesse schrieb das Gedicht 1941 nach einer schweren Krankheit, inmitten des Zweiten Weltkriegs, als er glaubte, seinem Ende nahe zu sein. Inmitten dieser Dunkelheit fand er Zuversicht. Ich denke, er war ein hoffnungsloser Optimist – genau wie ich.Vor zwei Jahren wurde ich selbst mit dem Unvorstellbaren konfrontiert. Ich kam zum ersten Mal in ein Krankenhaus, weil Bakterien meine Herzklappe angegriffen hatten. Eine infektiöse Endokarditis – fast jeder Fünfte überlebt das nicht. Innerhalb eines Tages war ich von „gesund“ zu „20% tot“ gesprungen. Krass, oder?
Die Therapie war lang und zermürbend. Sechs Wochen Antibiotika über eine Leitung direkt ins Herz, dazu unzählige Stunden unter der Krankenhausdecke, während ich über das Leben nachdachte: Was hat mich hierher gebracht? Lebe ich das Leben, das ich leben will?
Am Ende dieser Gedankenspirale kam ich zu einer simplen Erkenntnis: Mein Leben war objektiv gut. Ich hatte keinen Mangel, keine großen Probleme. Ich war beruflich erfolgreich, wohnte mit meiner Partnerin in einer der schönsten Städte der Welt, hatte Pläne, Europa zu bereisen und ein Haus geerbt, in dem wir später leben würden. Und doch fühlte ich mich elend.
Die Erkenntnis: Festgefahren und erschöpft
Nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus fehlte mir die Kraft. Ich dachte, ich bräuchte nur Geduld. Doch die Erschöpfung wich nicht, und ich wurde ständig von Angst geplagt: Was, wenn ich einen Rückfall erleide? Warum ging es mir trotz aller äußeren Sicherheit so schlecht?Ein Arzt erklärte mir schließlich, dass eine schwere Krankheit nicht nur den Körper, sondern auch die Psyche trifft. Diese Einsicht war wie ein Schalter, der sich umlegte. Ich begann, meine Lebensweise zu hinterfragen. Und dann wurde mir klar: Ich steckte fest. Ich lebte ein bequemes, aber freudloses Leben, und mein Herz hatte mich durch die Krankheit aufgerüttelt. Es war Zeit, Gewohntes gehen zu lassen, wie Hesse es ausdrückt:
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Mut zum Neubeginn ins dritte Drittel
Ich stehe an einem besonderen Punkt in meinem Leben – dem Übergang ins dritte Drittel, den Ruhestand, wie man die Zeit früher nannte. Dieses Stadium des Lebens bringt seine eigenen Fragen und Herausforderungen mit sich. Was soll dieser Neubeginn sein? Wo wird er mich hinführen? Die Antworten kenne ich noch nicht, aber eines weiß ich sicher: Wie Hesse sagt, wohnt jedem Anfang ein Zauber inne.Doch da ist die andere Seite: die Welt, wie sie gerade ist. Krieg in der Ukraine, Inflation und wachsende Probleme in der Wirtschaft ... Es fühlt sich an, als ob ein perfekter Sturm aufzieht. In solchen Zeiten einen sicheren Job in der Schweiz aufzugeben und einen Neubeginn zu wagen, klingt verrückt. Oder ist es genau das, was man tun muss?
Ich glaube, der wahre Mut liegt darin, nicht trotz der Angst, sondern mit ihr zu handeln. Mein Körper hat mir klargemacht, dass Stillstand für mich keine Option ist. Der nächste Schritt heißt Neubeginn. Wie dieser aussieht, werde ich herausfinden – und darüber hier in diesem Blog schreiben. Ich bin sicher, dass ich nicht allein bin. Viele Menschen hängen fest und suchen nach einem Weg, sich zu befreien. Für sie und für mich erzähle ich von meinen Erfahrungen, meinen Ängsten und meinen Erkenntnissen. Und am Ende steht ganz sicher ein guter Plan.
Denn, wie Hesse sagt:
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden.
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Herzlichst, Dein Jürgen
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Herzlichst, Dein Jürgen